Dieses Thema beschäftigt
mich schon länger, es fällt mir aber nicht leicht, dazu etwas niederzuschreiben.
Ich frage mich, ob ich das nicht den Sprach- und Kulturwissenschaftlern
überlassen soll. Nein, mir geht es schließlich um meine Wahrnehmung des
Unterschiedes zwischen der deutschen und US-amerikanischen Kultur im Rahmen
meines Aufenthaltes. Damit soll gleichzeitig auch klar sein, dass es in diesem
Beitrag nicht die Absicht ist, Umgangsformen für ein Land zu verallgemeinern
oder zu verurteilen, ich möchte lediglich meine Wahrnehmung über beobachtete
Umgangsformen beschreiben. Das Wort Umgangsformen geht für mich schon nicht
ganz einfach über die Tastatur, es erinnert mich an den Freiherr von Knigge und
der wusste schließlich, was richtig und falsch war. Andererseits fällt mir aber
gerade keine bessere Bezeichnung für konkrete Ausprägungen sozialer Interaktion
ein.
Schon in den
allersten Beiträgen ist mir aufgefallen, wie übertrieben freundlich man als
Kunde in Geschäftsbeziehungen umgarnt wird. Paart sich diese – für mich –
übertriebene Höflichkeit mit fachlicher Inkompetenz, ist es für mich nicht ganz
einfach auszuhalten. Ein Arbeitskollege sagte mir einmal, dass er es in
Restaurants erwartet, von der Bedienung das Gefühl vermittelt zu bekommen, er
sein ein ganz besonderer Gast. Auch als ich in der letzten Woche im Supermarkt
einkaufen war und am Käseregal einen wenige Sekunden dauernden
Entscheidungsprozess durchlaufen habe, kam sofort ein Angestellter auf mich zu
und fragte, ob ich alles gefunden hätte. Vor dem Schokoladenregal dann exakt
der gleiche Ablauf und abschließend an der Kasse wurde ich ein drittes Mal
gefragt, ob ich denn alles gefunden hätte. Schnell kommt der Eindruck auf, dass
durch diese Kommunikationsrituale die Geschäftstüchtigkeit weiter ausgereizt
werden soll. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass es vermutlich nicht ausschließlich
nur das ist. Fahre ich beispielsweise mit zwei fremden Menschen im Aufzug,
kommt es häufig vor, dass einer aussteigt und sich so verabschiedet, als ob wir
die komplette Nacht durchgefeiert haben und morgen dasselbe wieder vorhaben.
Ein weiteres schönes Beispiel – auf das ich gewissermaßen kulturell
reingefallen bin – war die Weihnachtsfeier unseres Wohnhauses. Es wurden alle
Bewohner unseres Hauses in eine Etage eines nahegelegenen Restaurants
eingeladen. Getränke bezahlt man selber und die Hausverwaltung spendiert ein
Buffet. Natürlich bin ich dorthin, habe mir ein Bier besorgt, den Teller am
Buffet gefüllt und ein freundlich aussehendes Pärchen am kleinen runden Tisch
gefragt, ob mich dazu gesellen darf. Nach der kurzen Vorstellung haben die
Sozialarbeiterin und der Jurist sich knapp
zwei Stunden mit mir über die USA, Deutschland, Kultur, Politik und alles
Mögliche unterhalten. Als Zeit zu gehen war für das Pärchen, wurde ich noch
nach meiner Telefonnummer gefragt, um das Gespräch fortzusetzen. Ich hatte
allerdings mein Telefon zu Hause gelassen und dafür eine Visitenkarte mit
E-Mail-Adresse dem Kollegen übergeben. Er versicherte mir, dass er, wenn er gleich
zu Hause ist, mir eine E-Mail mit den Kontaktdaten schickt und das Pärchen will
mich auf jeden Fall auch noch auf mexikanische Party im Januar in ihrem
Apartment einladen. Nach einer Woche am heiligen Abend, kam dann auch eine
E-Mail, die an den netten Abend erinnert hat und in der mir frohe
Weihnachtstage gewünscht wurden. Weitere Kontaktdaten als die E-Mail-Adresse
waren allerdings nicht enthalten. Ich habe freundlich geantwortet, meine
Telefonnummer und Apartment-Nummer angegeben, mit dem Hinweis, dass ich die
beiden gerne nochmal treffen würde. Jetzt ist der Februar schon fast zur Hälfte
vorüber und von den beiden habe ich nichts mehr gehört.
Diese Beispiele
verdeutlichen, dass die Amerikaner eigentlich sehr kommunikativ und
interessiert sind, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt, mit dem das
Private abgegrenzt wird. Wie oft wurde ich schon von fremden Menschen, die mich
sprechen gehört haben, gefragt, von wo ich denn herkomme. Ich würde es auch nicht als oberflächlich
bezeichnen, was ich vor einigen Monaten vermutlich noch gemacht hätte, sondern die
Grenze zwischen Interessiertheit und Nähe dient dem Aufbau eines gewissen
Schutzraums, innerhalb der eigenen vier Wände bzw. der Privatheit. Geht das
Leben irgendwann zur Neige, fällt auch
diese Privatheit weg. So erkläre ich es mir, dass man beispielsweise auf
Friedhöfen mit dem Auto unmittelbar bis zum Grabstein vorfährt. In Deutschland
wäre es undenkbar, die Ruhe der Gestorbenen mit Autoverkehr auf den Friedhofswegen
zu stören, hier ganz normal.
Auch die Anrede
mit dem Vornamen ist kein Zeichen von ausgesprochener Nähe zwischen den
Gesprächspartnern, so wie es in Deutschland der Fall Ist. Es dient vielmehr der
Vereinfachung von Kommunikationsregeln.
Findet
Kommunikation nicht mehr Face to Face statt, fallen Höflichkeitsformen einfach
weg. E-Mails werden in der Regel ohne Anrede und Grußformel geschrieben. Man
schreibt direkt kurz und knapp, was das Anliegen ist. Am Telefon meldet sich
der Anrufer nicht mit Namen, sondern steigt direkt in sein Anliegen ein. Der
Name wird dann ggf. nach dem ersten oder zweiten Satz ins Spiel gebracht.
Ungewohnt für
mich ist auch, dass sich meine Arbeitskollegen untereinander morgens beim
Ankommen am Schreibtisch in der Regel nicht begrüßen. Also auch diejenigen nicht,
die unmittelbar neben einander sitzen und nur von einer etwa 1,3 Meter hohen
Pappwand voneinander getrennt sind und sich augenscheinlich gut verstehen. Noch
viel befremdlicher ist es für mich allerdings, dass die Hemmschwelle für das
unverdeckte und geräuschvolle Gähnen sowie das geräuschvolle Aufstoßen von Luft
aus dem oberen Verdauungstrakt, also Rülpsen, in der Öffentlichkeit relativ
niedrig ist. Mag es vielleicht auch ein Ausdruck von gestiegener Freiheit und
überwundenen Zwängen sein.
Unschlüssig bin
ich mir bei Frage, woran es liegt, dass sich jeder, der Schnupfen hat,
geräuschvoll die Nase hochzieht. Ich denke, es liegt nicht daran, dass es hier
keine festen Papiertaschentücher zu erwerben gibt. Der Markt folgt in der Regel
der Nachfrage. Hier gibt es nur diese dünnen Tüchlein aus den Pappkartons. Wahrscheinlich
wird es als hygienischer empfunden, das überschüssige Sekret in den Magen zu
befördern, um dort mit der Magenschleimhaut die Viren und Bakterien zu killen.
In unserem zweistöckigen Bürogebäude wurden jüngst auch Handdesinfektionsgeräte
vor die Aufzugtüren gestellt.
Als ich
hierherkam, relativ unvorbereitet, habe ich erwartet, dass die Umgangsformen
unseren relativ ähnlich sind. Schließlich sind unter den Gründervätern dieses
Landes auch eine Menge Deutsche gewesen, die die Ihnen eigenen sozialen Konventionen
importiert und tradiert haben. Mittlerweile glaube ich aber, dass diejenigen
Deutschen, die seinerzeit Deutschland den Rücken zugewandt haben und als Gründerväter in die USA aufgebrochen
sind, sich in Deutschland nicht so wohl gefühlt haben und mit bestimmten
sozialen und kommunikativen Muster unzufrieden waren und diese dann in den USA nach
ihrem Empfinden umgestellt haben.